‘LAUREL & HARDY - DIE GRÖSSTEN KOMIKER ALLER ZEITEN’
(erschienen in der HEYNE Filmbibliothek Nr. 32/221)

Vorwort von Hanns Dieter Hüsch

“Ich habe ihnen jahrelang gegenüber gestanden. Ich stand in einem Studio der Beta-Film in Unterföhring hinter einem Stehpult und sah auf eine Leinwand, um zur rechten Zeit für jede Filmschleife die entsprechenden Takes zu sprechen, und oft waren es mehrere Personen, die ich dialogisch verbinden mußte. Dann kam noch der Erzähler dazu. Dann noch ein Hund. Dann noch Husten, Prusten und Niesen, und natürlich sie. Mein Synchronregisseur Heinz Caloué sagte mir immer "den Ollie nimm fester und dunkler und den Stan leichter und heller". Und wir erfanden für Stan ein fast philosophisches Kichern und für Ollie ein hartes Räuspern. Das war alles nicht so schwierig. Auch daß ich allein im Studio stand und von 9 bis 17 Uhr oft 180 bis 200 Takes mit Sprache versah, hysterischen Damen, verquasten Professoren, dampfenden Bäckern, kreischenden Polizisten und exaltierten Neureichen meine kleine Stimme lieh. Nein, ich mußte immer lachen, und das ging ja nicht, ich mußte auch immer traurig sein. Das ging auch nicht, und so wurde ich ständig hin und her gerissen von diesen komischen Tragikern, diesen beiden verlorenen zweisamen Einzelgängern.

Ich bin kein Cineast, kein Filmwissenschaftler und kein Kritiker. Ich weiß zwar, was ein »Double Gag« ist, und unter einem »Fade away« kann ich mir auch etwas vorstellen. Aber ansonsten bin ich mit der Technik der Komik nicht sehr vertraut und erlebe einfach diese Kunst von der Hand in den Mund. Und nicht nur als gelegentliches Zerstreuungsmittel, sondern ganz einfach: Ich möchte auch so sein, und zwar nicht so sehr wegen der Sahnetorten-Schlachten oder der Wasser- und Schlamm-Schlachten, sondern mehr wegen des geradezu exakt vorgeführten Unvermögens, unsere Welt zu akzeptieren, sich einzurichten und dann erwachsen zu werden. Genau das wollen diese beiden nicht und verschreiben sich einer infantilen Anarchie, um zuletzt nur mit den Schultern zu zucken oder mit leeren Händen um Verzeihung zu bitten. In unseren Landen nennt man sie ja »Dick und Doof«. Ein typisch deutscher Schnell- Titel. »Stan und Ollie« wäre besser gewesen, denn doof sind die beiden keinesfalls. Sie sind nur von einer ganz anderen Intelligenz, nämlich einer chaotischen, und die brauchen sie auch, denn wer körperlich so unbeholfen ist, muß die Unbeholfenheit derart auf die Spitze treiben, um sich im Dickicht der Realitäten zurecht zu finden. Unvermögen leitet zu Trotz über, und der Trotz zur Unlogik, und so beginnt langsam die Eskalation, die zu den Ausschreitungen der Fantasie und zu den Entartungen des Herzens führt, wo man dann jegliche Kontrolle verliert und die Groteske ausgiebig Kirmes feiert. Dahinter muß ein unabwendbarer Hang zum »reinen Unsinn machen« liegen.

Sie bitten sich gegenseitig zum Tanz, wobei Ollie zunächst immer der Sicherere, der Elegantere, der Geschultere ist, aber Stan durch unberechenbares Aus-der-Reihe-Tanzen das Duo eigentlich zusammenhält und für Aufregung sorgt, wobei es manchmal zu Zusammenstößen kommt, die Ollie dann zu bereinigen versucht, und daraus ergeben sich neue Bekanntschaften oder neue Verfolgungen. Rein oder raus, sich erheben oder sich ducken, vormachen und nachmachen und falsch machen, neu machen und alles noch schlimmer machen und verschwinden. Dafür gibt es keine Erklärung, keine direkte Philosophie, sondern es passiert. Und das ist gut so. Das ist Spiel. Und jede(r) von uns könnte es spielen - es traut sich nur keine(r). Stan und Ollie konnten es, und sie kon- nten es einfach auch so, wie es Hal Roach, der ja neben Mack Sennett gewissermaßen der Schöpfer des Slapstick war, gesagt hat: »Gerade die großen Komödianten spielen Kinder oder die Dinge, die Kinder tun. Eins der großen Geheimnisse einer erfolgreichen Komödie ist, alles mit Kindheit in Verbindung zu bringen. Stan Laurel und Oliver Hardy haben ihr ganzes Handwerk darauf aufge- baut.« Stimmt.

Ich kenne beide seit meiner Kindheit. Sonntagnachmittags gingen wir Kinder für dreißig Reichspfennig in einen Film mit Dick und Doof. Und heute, sechzig Jahre später, bin ich immer noch fasziniert. Sie können ihren Überlebensängsten nicht entrinnen, und so flüchten sie sich, wie auf Kommando, aber ganz langsam, schrecklich langsam, in die nächste Zerstörungsorgie, vernichten seelenruhig Häuser, Autos und Pianos, und wenn sie nach getaner Arbeit locker die Hände zusammenklatschen, um den Staub von den Fingern zu kriegen, weiß man, was die Glocke geschlagen hat: Entweder kommt jetzt der brutale Polizist um die Ecke oder ihr eigenes Auto wird nun vom Besitzer des zerstörten Hauses vernichtet. Hier wird mit Besitz und Symbolen umgegangen, als stünde man außerhalb jeder Soziabilität, als wisse man gar nicht, was man tut. Das Spiel wird auf die äußerste Spitze getrieben. Soll doch die Kinderschwester sehen, wie sie das Spielzeug wieder zusammen bekommt. Und wenn die beiden die Chance haben, ihren Ehefrauen zu entfliehen, dann nutzen sie sie. Aber alles endet mit Katastrophen und mit einer neuen Flucht.

Es ist eigentlich nicht das übliche Leben, das Stan und Ollie zeigen, beschreiben und leben, obwohl man es vielleicht manchmal gerne so haben möchte. Den berühmt-berüchtigten Alltag mit dem lachenden und dem weinenden Auge, nein, es ist ein Aufstand gegen das Leben, so wie wir es leben müssen, ein Aufbegehren alleine und zu zweit gegen die eingefrorenen und verbrauchten Betriebsanleitungen des Alltags. Mensch, werde praktisch, sei realistisch, lerne, dich zu arrangieren. Das alles können und lernen Stan und Ollie nie. Ich habe sie Jahre gesehen und ihnen meine Stimme leihen dürfen. Viel abgeguckt und auch fürs Leben, Lachen und Weinen eine Menge mitnehmen können. Marcel Marceau hat gesagt: »Alle Mimen der Welt schulden Laurel & Hardy unendlich viel.« Ich bin kein Mime, aber vielleicht ein Komiker, und sage danke an Stan und Ollie, wenn sie mit ihren Filmen durch unsere Wohnungen spazieren, aus Tragödien Komödien machen und umgekehrt, immer wieder von vorne anfangen, damit wir nicht aufhören zu lachen und zu leben.”

[Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des HEYNE Verlages]